Erst mal das wichtigste
Datum: Die Pseudozeitung "Perplex" hatte ihre Nullnummer im Mai 1988,
herausgegeben vom mittlerweile verstorbenen Pseudo "Anagan", bereits mit dem
heute noch verwendeten Spraydosen-Schriftzug.
Und um mal mit dem
Unglaublichen zu
starten: In Wikipedia ist der Begriff "Pseudozeitung" am 10.4.2012
nicht eingetragen. Weg. Aus. Das digitale Zeitalter und seine Autoren kamen
demnach erst in Fahrt, als die Pseudozeitungen schon aus der öffentlichen
Wahrnehmung verschwunden waren. Und sie waren ja auch verschwunden, bis auf
offenbar genau eine: "Perplex".
Dann suchen wir mal bei Google nach dem
Stichwort "Pseudozeitung".
Hier sind die 12 ersten Links am 10.4.2012. Achtung, diese Seite geht 60 cm in
die Tiefe - deshalb hier vorab noch ein Link zur
Recherche 2 Jahre später am 4.4.2014, sowie erneut am
8.4.2016 und
8.4.2018.
Ranking 1:
http://kaliban.de/2009/03/damals-als-wir-pseudos-waren/
Woran ich heute erinnern
möchte, sind die Pseudo-Zeitschriften. Die haben nichts mit richtigen
Zeitschriften zu tun, das waren so nachlässig kopierte Blattsammlungen, auf
denen sich Menschen, die sich Pseudos nannten (wohl von “Pseudonym”),
Botschaften schrieben, die sie Pöngs nannten. So albernes, lustiges, triviales
Zeug in Kurzbeiträgen. Eine Art analoges Twitter, ein rundenbasierter Chat.
Absurd. Die Heftchen kamen dann alle paar Wochen raus und man schaute nach, was
die anderen zu den eigenen Beiträgen geantwortet hatten.
Hier ist ein Beispiel — das
Heft namens “Das Fragezeichen” hatte es immerhin bis vom 20.09.2007 auf 192
Ausgaben gebracht.
Die Pseudo-Szene war,
wiewohl heute vergessen, wegweisend: In Sachen Signal-to-Noise-Ratio und
Orthografie hat man Twitter vorweg genommen.
..............
Ranking 2:
http://www.olletippse.de/win_printversion.php?PORID=EASO&LID=DE&PAGEID=S000000015
Da findet sich eine freundliche Sicht
des Pseudowesens von einer Person, die sagt, sie habe sich 13 Jahre als Pseudo getummelt,
die auch ein wenig "Geschichte des Pseudotums" mitzuteilen versucht:
Was sind Pseudos?
Sogenannte Pseudos sind Menschen verschiedenster
Herkunft, die ihrer Schreiblust in den für sie geschaffenen Foren frönen,
in dem sie Gleichgesinnten anonym (also unter dem Deckmantel eines
Pseudonyms) schreiben. Sicher ist dem einen oder anderen schon mal in
seinem regionalen Anzeigenblatt eine Rubrik aufgefallen, die „Grüße“ oder
„Mitteilungen“ oder ähnlich heißt. Dort finden sich immer wieder Anzeigen
von Leuten, die sehr obskure Namen haben – Pseudos eben. Da findet man
Namen wie Dr. Acula, Pimpf, Milhouse, Missy. Incognito, Ariadne mit dem
goldenen Faden oder Böser Watz. Oder eben auch OlleTippse… ;-)
Wo findet man Pseudos?
Es ist wahrscheinlich, dass Anzeigenblätter wie „Der heisse Draht“,
„Rhein-Ruhr-Markt“ und andere die eigentlichen Ursprünge sind. Leider
wurde vor einigen Jahren der Ansturm auf solche Pseudo-Rubriken in
Anzeigenblättern so groß (der „Rhein-Ruhr-Markt“ umfasste zu seinen
Hoch-Zeiten beispielsweise allein mit dem Briefkasten, der Pseudorubrik,
bis zu 9 große Zeitungsseiten!!), dass die Verlage uns einen Riegel
vorschoben, erst die Anzahl der Coupons begrenzten, die pro Person
eingesandt werden durften und schließlich diese Rubriken für Pseudos
sperrten.
Dies hätte das Aus für die Pseudoszene bedeutet, wären nicht ein paar gute
und mitsüchtige Menschen auf die Idee gekommen, eine eigene Pseudo-Zeitung
zu erstellen. In liebevoller Kleinstarbeit, mit ehrenhaftem persönlichem
und auch finanziellem Einsatz einiger Pseudos entstanden Magazine wie das
„Underground“, das „Subway“ oder die "GuckMal“.
Mit dem Fortschreiten der modernen Kommunikationsmöglichkeiten entstanden
auch reine Online-Magazine, wie beispielsweise das „Pseudodrom“. Und in
all diesen Magazinen schreiben sich halt diese Süchtigen allen möglichen
Kram, von ernsthaften politischen Diskussionen bis hin zu einfach nur
Blödsinn findet hier das Pseudo-Herz alles, was es begehrt.
Wer sind die Menschen hinter den Pseudos?
Manchmal bleibt dies ein Geheimnis - jedem Pseudo ist es schließlich
selbst überlassen, sich zu erkennen zu geben oder anonym zu bleiben. Es
gibt aber für Interessierte auch immer wieder Gelegenheiten, die
Verrückten hinter den Pseudos kennen zu lernen. Von Zeit zu Zeit werden
Treffen oder Camps veranstaltet, bei denen man die Möglichkeit hat,
endlich ein Gesicht zu dem Pseudo zu sehen und sich mal live zu
unterhalten.
Warum machen Pseudos das?
Vielleicht ist es einfach nur die Lust am Schreiben, vielleicht eine
einfache Kontaktsuche, ohne den Menschen zu nahe kommen zu müssen - egal
aus welchem Grund, es gibt keine bekannten schweren Nebenwirkungen außer
dem Suchtfaktor – aus meiner mittlerweile 13-jährigen Erfahrung als Pseudo
kann ich sagen, dass man immer wieder, auch wenn sich mal eine Pause
einschleicht, zum Pseudeln zurück findet… die Leute sind einfach zu nett
und es macht viel zu viel Spaß, um es wieder aufzugeben! Und man kann
durchaus verdammt liebe Menschen kennen lernen - meine besten Freunde
kenne ich aus meinen Anfangszeiten als Pseudo. Ich kann also nur
empfehlen, es mal auszuprobieren, gibt ja nix zu verlieren! ................
Ranking 3: eine
Twitter-Nachricht von "Medienmagazin" vom 5.2.2011:
Pseudozeitung aus
twittermeldungen paper.li wurde gerade von mir depubliziert! Beende Erfahrungen
mit News-Roboter. Nervig, seelenlos.
...........
Ranking 4:
ein
Tag-Poster, also eine Seite, die inhaltlich leer ist und nur Werbung
ausschüttet. Nennt sich die "Wissenscommunity". Nicht hinklicken! www.cosmiq.de/tags/pseudozeitung/1/
.............
Ranking 5:
http://www.pseudodrom.com/retro.html
Da schwelgt jemand in den
Zuständen von 1987. Der Anschein wird erweckt, dass "Pseudodrom" da schon
verstummte - es hielt ja noch zwanzig Jahre dann durch.
...........
Ranking
6: http://www.arthurdent.de/html/pseudos.html
Ah, da ist nochmal ein
weiterer Rückblick mit Substanz. Erstmals hier wird nebenbei die nun tatsächlich
bis heute überlebende letzte deutschsprachige Pseudozeitung "Perplex"
erwähnt - ansonsten verrät der Artikel wieder sein Alter, indem er sich noch auf
die 2007 beendete, offenbar vorletzte Pseudozeitung "Pseudodrom" beruft.
Über
Pseudos im allgemeinen
Es ist schwer zu sagen, wie
das ganze Pseudotum entstanden ist. Ich will an dieser Stelle versuchen, zu
rekonstruieren, wie diese Szene entstanden ist.
Es war Anfang der 80-er
Jahre, als Zeitungen herauskamen, die kostenlose private Anzeigen anboten. Um
ein paar Beispiele zu nennen: Sperrmüll, Inserat, Alles, Findling (und noch ein
paar weitere).
Die Pseudoszene startete
nach heute vorherrschender Meinung mit einer Anzeige von Suppi (Suppenlöffel
Francis) im Frankfurter Inserat: ”Einem geschenkten Gaul haut man nicht aufs
Maul”. Die Szene hat sich in den diversen Anzeigenblättern fast gleichzeitig
gebildet und weitere Scherzanzeigen wie etwa ”tausche Rolltreppe gegen Aufzug”
oder ”Suche für Doktorarbeit Grashalme, 7 und 10 cm lang” lockerten den
Anzeigeteil auf. Suppi war nach meiner Information jedenfalls der Erste.
Schnell erkannten die
Verlage, dass es hier einen Markt gibt. Grußrubriken wurden eingerichtet:
”Manta-Fahrer grüßt Corsa-Fahrerin”, später folgten die Rubriken für die Pseudos.
Das sind Leute, die allerlei Grüße, Blödsinn und Diskussionen unter einem
Pseudonym veröffentlichten.
Diese Rubriken wuchsen mit
der Zeit gewaltig an und so sahen sich die Verlage gezwungen, Textlimits und
andere Beschränkungen einzuführen. So befanden sich z.B. in jeder Zeitung nur
zwei oder drei Coupons (Q-Pong wurde zu einem stehenden Begriff in der
Pseudoszene für eine Einzelnachricht). Wer viel zu schreiben hatte, musste
Altpapierstapel nach ungebrauchten Coupons ausschlachten oder sich etwas anderes
einfallen lassen. Zusätzlich wurden diese Anzeigenzeitungen im Laufe der Zeit
teurer.
Die Szene (es gab
inzwischen regelmäßige Treffen und Stammtische) brachte daraufhin eigene Hefte
heraus: Meist zusammenkopierte Teile in Schülerzeitungsformat, jedoch von
Pseudos für Pseudos und ohne jeden kommerziellen Anspruch. Das legendäre i/o (Inside/Out)
wurde z.B. auf mehreren C64-ern erstellt. Manche werden sich noch an diese
Homecomputer im Brotkastenformat erinnern...
Im Lauf der Zeit wurden die
Pseudorubriken in so gut wie allen Anzeigenzeitungen geschlossen und Magazine
wie das InsideOut, KommPost, Subway, PerPlex und wie-sie-alle-hießen fingen, so
gut es ging, die Szene auf. Das Problem war nur, dass es ohne die
Anzeigezeitungen an den Kiosks keinen “Nachwuchs” mehr gab und so stagnierte die
Szene.
........
Ranking 7: http://search.socialhistory.org/Record/1444686
Ein englischsprachiges
"international institute of social history" hat
Guck Mal : die Münchner
Pseudo-Zeitung. inventarisiert.
Unter ZK 46503 1(1988) -
2(1989):no.35,57 könnte ich sie abrufen. Aber ich habe ja hundert Nummern
„Perplex“ hier rumliegen, das reicht, danke.
...........
Ranking 8: http://de-de.facebook.com/hanfverband/posts/325446857518023?comment_id=3242994
Da sind wir drin im
Facebook-Geschnatter. Jemand hat "Die Welt" als Pseudozeitung bezeichnet. Er
weiß also nicht, dass vor dreißig Jahren Pseudozeitungen ein Genre waren:
José Antonio Roque Toimil:
Genau, es musste die WELT sein! Aber wer liest diese Pseudozeitung schon! Und
nun: mein Morgenjoint! Schönen tach noch!
.........
Ranking 9:
http://www.petsnature.de/forum/ein-router-fur-die-katz-t12410.html
Die gleiche Schublade des
neuzeitlichen Wortgebrauchs ohne Vergangenheit: Das Wort "Pseudo" wird hier von
einer Katzenfreundin ohne historischen Hintergrund zufällig mal mit dem Wort
Zeitung verbunden - in diesem Fall geht es darum, Katzen auszutricksen, die sich
gerne dahin legen, wo sie meinen, dass es wichtig ist...
"Sollte man doch auch stets
eine Pseudo-Zeitung herumliegen haben, einen Pseudo-Drucker, eine
Pseudo-Wolldecke, ein Pseudo-Shirt..."
..........
Ranking 10:
http://ohauk.de/4481/13901.html
Jetzt geht es schrittweise
allgemein um das Wort Pseudo. Hier erinnert sich jemand in einigen Kapiteln
zwischen anderer Thematik an die Pseudozeitungen:
Mich hat dieses Ding
dermaßen in jungen Jahren fasziniert, daß ich mir selbst mal das Pseudonym Stern
von Myrrian ey Llyrana (oder kürzer: Sternchen) in einer Pseudorubrik einer
Inseratenzeitung zulegte.
In den 80ern konnte man
beim Inserat unter der Rubrik 27 (Haste Töne) mit anderen "Pseudos" im
Wöchentlichen Rhythmus diskutieren. Das war halt der langsamste Chat der Welt,
aber das Internet war damals noch zu klein und zu unbezahlbar...
Leider wurde diese Rubrik
eingestellt, nachdem das Inserat in neue Hände geriet. Die Privat aufgemachte
Pseudozeitung "insideout" erlebte daraufhin einen Riesenboom. Leider wurde auch
diese Zeitung eingestellt, da die Pseudos so nach und nach der Szene entwuchsen.
........
Ranking 11:
http://pulloverausdocht.wordpress.com/
Da wird die BILD-Zeitung
als Pseudo-Zeitung bezeichnet - bei Ranking 8 war es "die Welt".
..................
Ranking 12:
http://forum.dnd-gate.de/index.php?topic=11802.45;imode
Der Beitrag hat den Charme,
dass jemand nach 2000 nebenbei die Pseudozeitung nochmal erfindet und auch so
nennt - ohne historische Vorkenntnis. Es ist aber wohl bei ein paar Sätzen
geblieben, und keine Tat folgte:
"Was man machen könnte
wäre ein kleines nettes und schickes Zeitungslayout zu bauen und einzelne oder
auch mehrere Artikel da hinein packen und diese dann als PDF zu posten. So hat
man quasi eine Pseudo-Zeitung."
.......
So, das ist ja dann ein
origineller Fund, um aufzuhören mit der Recherche.
Der engere Suchbegriff
"perplex pseudozeitung" ergab übrigens NULL Treffer.
Auch die Nachbarbegriffe
„Pseudozeitschrift“ und „Pseudomagazin“ ergeben keine Treffer.
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