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Das Wort „Pseudozeitung“ enthält eine Doppelbotschaft: Diese Zeitungen haben keine Redaktion und keine Journalisten. Und ihre Autoren schreiben sich unter Pseudonymen (sie haften aber persönlich für die einzelnen Beiträge mit ihrer Echt-Unterschrift auf der Rückseite). Eigentlich müsste es „Pseudozeitschrift“ heißen, denn nicht täglich, sondern zweiwöchentlich oder monatlich wird das Schreibwerk ans Kollektiv verteilt. Aber s-z-sch - das zischt zu sehr. Deshalb „Zeitung“.
 

Eine Pseudozeitung ist ein in Heftform gebundener Gruppenchat“. So kann man das 2012 erklären, nachdem es „chats“ seit 15 Jahren gibt. Pseudozeitungen gibt es da allerdings schon seit 27 Jahren.

Bundesweit gab es in 1992 etwa 20 deutschsprachige Pseudozeitungen. Sie sind entstanden im Kielwasser der Gratis-Anzeige-Magazine, die eben auch in den Achtzigern und Neunzigern ihre große Zeit hatten. In solche Magazine konnte jeder alle zwei Wochen ein paar Gratis-Annoncen einstellen. Gedacht war dies als schriftlicher Flohmarkt, mit Verkaufsabsichten. Ein kleiner Teil der Beteiligten plauderte aber schlicht per Annonce miteinander. Als ihnen das von den Anzeige-Magazinen untersagt wurde, gründeten sie Pseudozeitungen: 5, 20. schließlich bis zu 200 Menschen setzten ihre Kleinanzeigen ohne Verkaufsabsicht in ein Pseudo-Magazin.

Der Boom an Pseudozeitungen nahm Chats, Twitter und indirekte Communities vorweg, bei denen sich die Leute anhand ihrer Publikationen unterhalten und nicht direkt treffen. Im Prinzip übten sie auch schon die "Tarnexistenz", das Unterwandern des Datenmissbrauchs durch Behörden und Vermarkter.

Fast zeitgleich sind Pseudozeitungen spontan entstanden im Windschatten einer kommerziellen Idee. Es scheint, dass die Annoncen-Zeitungen eine Eigenart im deutschsprachigen Raum waren - und entsprechend auch für Pseudozeitungen im Ausland weltweit nichts Vergleichbares zu finden ist. Da die Pseudozeitungen sich nicht auf Messen ausstellten und privat verschickt wurden, gelangten sie den zur Abgabe eines Zwangsexemplares auffordernden deutschen Bibliotheken nicht in die Hand. Es gibt kein öffentliches Archiv dieser Zeitungen. Auch zum Verfassen einer Insider-Übersicht, wie es bei den deutschen Musik-Fanzines und Tonträgern der Achtziger geschah, fand sich kein Pseudo. Der Boom der Pseudozeitungen verebbte mit dem Aufkommen des Internet.

... bis auf jene eine Zeitung „Perplex“. Gleich dem berühmten gallischen Dorf von Asterix und Obelix schreiben dort dem Internet scheinbar ferne Pseudos auch derzeit noch ihre Annoncen und warten geduldig einen Monat, bis diese veröffentlicht sind, und einen weiteren Monat, bis sie die Antworten zu lesen bekommen. Ende April 2012 erschien "Perplex" mit der Nummer 555.